Paradies: Liebe

Nein, das ist nicht das Paradies. Da, wo Teresa wohnt, ist es zwar adrett, und bei ihrer strengen Schwester, wo ihre Tochter bleibt, ist es sogar ein bisschen grün – aber das wahre Paradies ist Kenia. Das stellt Teresa im Urlaub fest, sobald ihr einer der Hotelangestellten die Fensterläden mit Blick auf den weißen Strand geöffnet hat. Teresa, eine aus der Form geratene 50-Jährige, sieht sofort entspannter aus, auch wenn die Haut schnell leichte Sonnenbrandrötungen zeigt. Sie ist nicht die einzige ihrer Altersgruppe. Auch das Lebensgefühl der Urlaubsfreundinnen ist ein ähnliches: Der Mann zuhause hat ihren alternden Körper so sehr kritisiert, dass sie sich nicht mal mehr an einen Seitensprung traut, berichtet Inge. Alles hängt nur herab, da sind einfach viel zu viele Kilos. Doch in Kenia hat sich ein Sextourismus etabliert, der Frauen wie Teresa das Gefühl des Begehrtwerdens zurückgibt – als „Sugarmama“: Geld gegen Sex und vermeintliche Zuneigung ist der Deal. Natürlich merkt Teresa, dass Geld nicht unwesentlich in der Beziehung zu „ihrem Boy“ Munga ist. Dennoch wird sie abhängig, sie will endlich wieder vorbehaltlos geliebt werden – und diese Illusion kann ihr Munga zeitweise geben. Welch perfide Ironie des Schicksals: Frauen, die unglücklich und in Abhängigkeit von ihren Männern zuhause leben, emanzipieren sich in einem afrikanischen Land und werden zu „Kolonialherrinen“, die die einheimischen Männer von sich abhängig machen und sie dadurch demütigen.

Wie immer in Filmen von Ulrich Seidl („Import, Export“, „Hundstage“) ist die Provokation kalkuliert. Sein Ansatz, der wie immer mit einer großen Anzahl Laiendarsteller umgesetzt wird, funktioniert auch diesmal: Wir erleben eine nicht unsympathische Frau, mit deren Alltagsstress wir mitfühlen und deren Wünsche wir verstehen. Mit der Zeit jedoch wird sie immer selbstbewusster und fordernder – sie lernt, in fast befehlsartigem Ton ihre Bedürfnisse zu artikulieren und durchzusetzen – oder auch das jeweilige Gegenüber einfach vor die Tür zu setzen. Seidl lässt nichts aus, das macht das Anschauen teilweise zur Qual: Die Anbiederung der Männer, der Kontrast der jungen schwarzen Körper zu den übergewichtigen weißen Damen, die Demütigungen durch Auslachen und Herumkommandieren. Besonders widerlich eine Geburtstagsszene mit vier – nach und nach spärlicher bekleideten – weißen Frauen und einem sehr jungen schwarzen Mann. Doch darin liegt die Qualität des Films. Seidl zeigt schöne Bilder und legt den Finger in die Wunde.

[erschienen im Kinokalender 1/2013]

Kinostart: 3.1. 2013