Tagebuch eines Skandals | Notes on a Scandal

Der Film könnte auch “Tagebuch einer tragischen Person” heißen. Judi Dench spielt die über 60-jährige Barbara Covett, die sich in ihre junge Kollegin Sheba Hart (Cate Blanchett) verliebt und ihr Nähebedürfnis auf höchst verstörende Weise auslebt: Sie nutzt die offensichtliche Unerfahrenheit der jüngeren aus, um ihre Unterstützung anzubieten. Sheba, offen und unkonventionell, freut sich über Hilfe in schwierigen Situationen mit Schülern und lädt Barbara auch mal zu sich nach Hause ein. Dort erwarten Barbara (hoffnungslos overdressed für den Anlass) ein deutlich älterer, sympathischer Ehemann (Bill Nighy) und zwei Kinder.

Notes on a Scandal

So weit, so unspektakulär. Hätte Barbara nicht entdeckt, wie Sheba mit einem 15-jährigen Schüler eine Affäre hat, wäre die Beziehung der beiden Freuen womöglich im Sande verlaufen. Doch nach anfänglicher Wut (oder besser: Eifersucht) bemerkt Barbara, dass sie Gewinn „aus der Sache schlagen kann“. Ihre absonderliche Lebensrealität und ihre berechnenden sowie niederträchtigen Gedanken erfährt das Publikum aus dem Titel gebenden Tagebuch, in das Barbara akribisch ihre Erlebnisse und Vorhaben notiert. Für gelungene Tage, an denen sie Sheba nahe kommt, klebt sie sich selbst goldene Sternchen hinein.
Als Zuschauende haben wir auch Einblick in Barbaras Leben: Ihre Katze ist das wichtigste Lebewesen und soziale Kontakte hat sie nur an Weihnachten. Es gab da mal eine Freundin Jennifer, doch die ist jetzt verlobt und damit wohl aus ihrem Leben verschwunden. Die Zuschauerin ahnt: Hier steckt mehr dahinter.

Im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, wie sehr Barbara eine Liebesbeziehung zu Sheba anstrebt. Barbara nutzt dazu die verbotene Affäre von Sheba schamlos aus und manipuliert nicht nur die nichts ahnende Sheba. Als die Affäre schließlich durch Barbaras Zutun auffliegt und Sheba zuhause nicht mehr wohnen kann, nimmt sie ausgerechnet deren Angebot an und zieht auf unbestimmte Zeit zu ihr.
Es ist schon ein ziemlich rätselhaft, warum Sheba sich so lange auf Barbara einlässt. Schließlich besteht die als tiefe Freundschaft missverstandene Beziehung vor allem darin, dass diese sich immer weiter im Leben ihrer Kollegin breitmacht. Ein Gefühl von Mitleid war wohl die hauptsächliche Motivation. Zu ihrem Entsetzen muss Barbara gegen Ende nämlich diesen Satz von Sheba hören: “Niemand mag Sie. Ich war der Idiot der Schule, weil ich mit Ihnen zu tun hatte. Keiner sagte mir dass sie ein fucking Vampir sind.“ (Zur deutschen Synchronisation sei angemerkt, dass das “Sie” in einer solchen Freundschaft ein bisschen seltsam anmutet.)

Eine solche Aussage offenbart ein äußerst unglückliches Leben. Hinter dem seltsamen Sozialverhalten von Barbara scheint ein über die Jahre stark ausgeprägter Selbsthass zu liegen. Ihre eigenen Bedürfnisse (sie beschreibt sich selbst als „chronically untouched“) hat sie stets verleugnet und unterdrückt. Stattdessen ist sie in das Leben anderer eingedrungen. um sich an deren Beziehungen und Sexualleben zu ergötzen oder auf sie ihre Wünsche zu projizieren. Von Jennifer erfahren wir, dass sie sich sogar gerichtlich gegen Barbaras Nähe wehrte.
Sicherlich ist das befremdliche Gefühl beim Anschauen des Films dem beschriebenen  Voyeurismus geschuldet. Dennoch bleiben ganz praktische Fragen: Warum hat eine Frau wie Sheba (die von einem selbstbewussten 15-jährigen begehrt wird), keine anderen Freundschaften? Dass sie die Affäre mit dem Jungen eingegangen ist, lässt sich nur halbherzig damit begründen, dass sie “auch mal sündigen” wollte. Da wäre ein bisschen mehr Charaktertiefe schon schön gewesen. Und dass Regisseur Richard Eyre die Schauspielerin Blanchett mal wieder als ätherische Schönheit (diesmal mit künstlerischer Neigung) und Objekt vielfacher Begierde inszeniert – nun ja, das ist dann wohl Geschmacksache.

(Diese Kritik ist Teil der Aktion EinFilmVieleBlogger)