Philomena

“Teuflische Nonnen“ – damit hofft eine Verlegerin auf gute Zahlen. Bringen soll die der Ex-Journalist Martin Sixsmith (Steve Coogan),Philomena, Stephen Frears aber der macht eigentlich keine „Human-Interest“-Geschichten. Es geht nämlich um die Geschichte von Philomena (Judi Dench, „M“ in diversen »James Bond«-Filmen, »Stolz und Vorurteil«, »Shakespeare in Love«). Sie hat als junges Mädchen ein uneheliches Kind bekommen, das zu Nonnen weggegeben wurde. Sie selbst musste in dem irischen Kloster hart arbeiten und viele Schikanen ertragen. 50 Jahre lang suchte sie ihren Sohn, nun soll Martin helfen. Tatsächlich werden die beiden fündig – in den USA, wohin viele der Kinder damals verkauft wurden.
Ein abgebrühter Journalist und eine ältere Dame, die Kitschromane liebt. Eine typische Konstellation für einen Film: Weiterlesen

Mein Filmjahr 2013 – eine Art Rückblick

So ein Jahr ist voll gestopft mit Filmen: Neben den normalen Starts – nie unter zehn, meist eher 15 pro Woche – geht es spätestens im Februar mit der Berlinale los und endet erst Ende November mit mehreren wichtigen Festivals in Wiesbaden und Lünen sowie Winterthur und Berlin für den Kurzfilm. Wenn dann am Ende eines Jahres etwas hängen geblieben ist, war ein Film wirklich bemerkenswert. Hier meine subjektive Auswahl.

"Ich fühl mich Disco" | Axel Ranisch

Im deutschen Film fallen wieder ein paar junge Filmemacher auf, die gerade ihre ersten langen Filme vorlegen – und was für welche! Axel Ranisch brachte letztes Jahr sein No-Budget-Debüt „Dicke Mädchen“ raus, nun folgte mit „Ich fühl mich Disco“ die Geschichte des pummeligen Flori, der sich mit seinem ehrgeizigen Vater arrangieren muss. Der erste Kuss (mit einem Jungen!) und viele Peinlichkeiten der Pubertät: Das ist urkomisch, traurig und voll überbordender Fantasie inclusive Schlagermusik und Tanzeinlagen. Eine grandiose Neuentdeckung liefert Ranisch mit seinem Hauptdarsteller Frithjof Gawenda gleich noch zusätzlich ab, Heiko Pinkowski ist mit Seehund-Schnauzer ebenfalls umwerfend. Von der gleichen Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg kommt Aron Lehmann, der teilweise mit den selben Schauspielern seinen Abschlussfilm „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ realisierte. Die vielschichtige Betrachtung von Visionen und deren Scheitern ist nicht nur klug, sondern auch herrlich lustig und glänzt mit tollen Darstellern wie Robert Gwisdek und Jan Messutat.

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel | Aron LehmannEine düstere Zukunftsvision in schwarz-weiß malt Linus de Paoli mit „Dr. Ketel“: Ein Mann, der mal Krankenpfleger war, versucht denjenigen Menschen im einschlägig bekannten Berliner Bezirk Neukölln zu helfen, die im Gesundheitssystem durch das Raster fallen und sich keine Behandlung leisten können. Dafür überfällt er Apotheken und nimmt ein Leben als gesuchter Krimineller in Kauf. Ketel Weber und Ermittlerin Amanda Plummer („Pulp Fiction“) spielen zwei starke Figuren, die der Geschichte am Ende Hoffnung und sogar Farbe verleihen.

„Silvi“ ist das Debüt von Nico Sommer, der die Geschichte einer Frau im fortgeschrittenen Alter erzählt, die sich nach der Trennung von ihrem Mann noch einmal aufrappelt. Auch wenn die Macken der Männer, an die sie durch eine Kontaktanzeige gerät, etwas redundant sind – die Leistung von Lina Wendel und ihre Leinwandpräsenz als Silvi sind bemerkenswert, außerdem beweist Sommer großes inszenatorisches Talent.

Aus dem deutschen Dokumentarfilmschaffen bleiben zwei Werke in Erinnerung: „Haus Tugendhat“ von Dieter Reifarth lässt das Publikum teilhaben an wunderbarer Architektur und gleichzeitig einer bewegten Familiengeschichte des letzten Jahrhunderts. Eins der wenigen Pressehefte, das nicht den Weg ins Altpapier nahm, da es wie ein sorgfältig gestalteter Architektur-Bildband daher kommt.

Haus Tugendhat | Dieter ReifarthJulia Oelkers „Can’t be Silent“ hingegen ist die mitreißende Geschichte einiger Musiker und ihrer Konzerttournee. Was deutschen und EU-Bürgerinnen und -Bürgern eine Selbstverständlichkeit ist, gerät für die porträtierten MusikerInnen zur Herausforderung: Sie sind Flüchtlinge und leben in deutschen Asylbewerberheimen. Da darf man nicht einfach mal so irgendwo hin fahren, um mit einer Band aufzutreten. Die tolle Musik hilft beim Zusehen stets nur kurz über die bedrückenden Auswirkungen der Asylpolitik in unserem Land hinweg, dennoch ist der Film voll Energie und Optimismus.

Can’t Be Silent | Julia Oelkers[Erschienen im gedruckten Kinokalender 12/2013 und hier]

Ich fühl mich Disco

„Ich hab nie behauptet, dass es leicht sein würde.“ Turmspringtrainer Hanno Herbst (Heiko Pinkowski) ist verwirrt. Sein dicker Sohn Flori (Frithjof Gawenda) interessiert sich so gar nicht für die Dinge, die Hanno wichtig findet: Sport oder motorisierte Fahrzeuge etwa. Flori tanzt lieber zu Schlagermusik durch die Wohnung oder liegt sinnierend mit seiner Mama auf dem Boden im Licht seiner Discokugel. Ich fühl mich Disco von Axe RanischAls Flori sich auch noch in einen Jungen verliebt und Mama plötzlich nicht mehr da ist, müssen Vater und Sohn miteinander auskommen. Sie bemühen sich redlich. Aber – es ist eben nicht so leicht. Der das zu Hanno sagte, ist der Schlagersänger Christian Steiffen, der den Film nicht nur mit seinen lebensweisen Liedern („Das Leben ist nicht immer nur / Pommes und Disco / Das sage ich dir / Manchmal ist das Leben einfach nur / eine Flasche Bier“) bereichert, sondern auch Hanno beratend zur Seite steht. Ebenso wie Rosa von Praunheim Weiterlesen

Jung & schön

Erwachsenwerden und Erfahrungen machen – das hat viel mit Sex zu tun. Francois Ozon („In ihrem Haus“, „Unter dem Sand“, „8 Frauen“) erzählt in seinem neuesten Film von einer Jugendlichen, die ihre Familie damit schockiert, mit Prostitution viel Geld zu verdienen. Ohne einen Anflug von Moral oder Prüderie fasziniert „Jung und schön“, und vielleicht verstört der Film auch ein bisschen.

Jung & schön, Francois Ozon

Jung & schön, Francois Ozon

Isabelle (fantastisch: Marine Vacth) erlebt „das erste Mal“ am Strand, mit einem Deutschen, im Urlaub und nicht weit vom Feriendomizil ihrer reichen Pariser Familie entfernt. Emotionen sind ihr nicht anzumerken und ihren kleinen Bruder lässt sie danach nur wissen, dass „es“ erledigt sei. Weiterlesen

Computer Chess

Die Inhaltsangabe für Nerds: Anfang der 1980er. Ein Computerschachturnier bringt die Avantgarde der Programmierer und eine kluge Frau zusammen, um ihre Programme gegeneinander antreten zu lassen. Jeden Tag schieben sie PDP-11- und andere, riesige Computer in den Konferenzraum, um die Figuren nach mehr oder weniger gut formulierten Algorithmen auf den 64 Feldern zu bewegen. Jede Nacht hacken sie am Code, um Fehler zu beseitigen. Ihre Diskussionen drehen sich um die Unterwanderung ihrer Branche durch Geheimdienste und die Grenzen oder Möglichkeiten von „künstlicher Intelligenz“. Der schwarzweiße Film wurde er auf einer U-matic gedreht und bietet neben einer Mischung aus Computermuseum, Brillen- und Frisurenparade sogar Cat-Content!

Computer Chess

Computer Chess – Bild ist ein zauberhaftes animiertes gif, bitte klicken!

Die Inhaltsangabe für alle anderen: In einem US-Provinzhotel treffen sich Programmierer, Weiterlesen

Das Pferd auf dem Balkon

Wie anstrengend – Mika (Enzo Gaier) dreht durch, wenn nicht Punkt 14:17 Uhr das Essen auf dem Tisch steht. Seine Mutter Lara (Nora Tschirner) hat sich darauf eingestellt. Andererseits hat er eine tolle Beobachtungsgabe und liebt Mathematik. Das Pferd auf dem BalkonMika sagt über sich selbst: „Ich habe das Asperger-Syndrom, deshalb bin ich oft gereizt. Ich hasse Witze, ich verstehe keine Witze.“ Sein Leben wird plötzlich aufregend und voller Überraschungen (die er ebenfalls hasst), als er ein Pferd auf einem Balkon der Wohnsiedlung entdeckt. Das hat der Nachbar Sasha (Andreas Kiendl) gewonnen, es ist das ehemalige Rennpferd Bucephalus. Das bei Sasha störrische Tier ist bei Mika ganz brav und gehorsam, und Mika selbst ist in seiner Nähe so entspannt wie sonst nie. Weiterlesen

Die schönen Tage

Wann ist eine Frau „alt“? Und was heißt das? Ist eine 60-Jährige zu jung für einen Seniorenclub? Vermutlich ist Fanny Ardant in jedem Alter ungeeignet für einen Seniorenclub, die Grande Dame des französischen Films – Jahrgang 1949 – drehte und lebte mit Meisterregisseur François Truffaut und hat drei Kindern von drei verschiedenen Männern.Die schönen Tage Zwischen den „typischen“ Senioren mit Glatze und Bauch, gekleidet in beige, ist sie definitiv fehl am Platze. In „Die schönen Tage“ spielt sie die attraktive Zahnärztin Caro, die gerade ihre Praxis aufgegeben hat. Zu besagtem Seniorenclub – dessen Name dem Film den Titel gab – schenken ihr ihre Töchter einen Gutschein. Sie darf sich nun zwischen Töpfern, Schauspiel und Computerkurs entscheiden.

Die stolze Caro sprengt als erstes den Schauspielkurs, weil die Übungen gar zu albern sind. Weiterlesen

Ummah – Unter Freunden

Berlin-Neukölln, ein Bezirk zu dem es zahlreiche Assoziationen gibt: Deutsche mit Migrationshintergrund prägen dort das Bild, der Bezirk gilt als sozial schwierig, und man denkt bei dem Namen auch schnell an die „Kopftuchmädchen“ von Sarrazin oder den polemischen Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und seine Ansichten zur Integrationspolitik. Alles Klischees? Ummah - Unter FreundenIst Berlin-Neukölln wirklich ein verlorener Bezirk, vielleicht sogar ein Hort islamistischer Terroristen? Ganz bewusst siedelt Cüneyt Kaya sein Regiedebüt „Ummah – Unter Freunden“ hier an. Er will mehr zeigen als Taliban, Kopftuchzwang und Jugendgewalt und nach eigenen Worten „eine realistische, kritische und auch humorvolle Perspektive“ gegenüber der muslimischen Kultur in Deutschland einnehmen. In vielen Szenen gelingt ihm das sogar gut, einige Male traut er sich aber zu wenig und auch seine Rahmengeschichte weist deutliche Schwächen auf.

Die ganze Kritik findet ihr hier bei filmstarts.de

Kinostart: 12.9. 2013

Das Glück der großen Dinge

Was für ein Titel! Irreführend und unklar – wer hier an die Liebe des Lebens und den Märchenprinzen denkt, liegt völlig daneben. Der Originaltitel „What Maisie Knew“ deutet Das Glück der großen Dingedie Vielschichtigkeit der Geschichte viel besser an, auch wenn er an das Thrillergenre erinnert. Um einen solchen geht es hier ganz und gar nicht. „Das Glück der großen Dinge“ erzählt von der hundertfach bekannten und immer wieder tragischen Geschichte einer Trennung, bei der um das gemeinsame Kind gestritten wird. Doch anders als zum Beispiel beim Klassiker „Kramer gegen Kramer“ von 1980 klingen hier schlussendlich ganz neue Lebens- und Familienmodelle an.

Susanna (Julianne Moore) ist erfolgreiche Rocksängerin, Beale (Steve Coogan) Kunsthändler. Die kleine Maisie (Onata Aprile) kennt es nicht anders, als dass die beiden lautstark streiten, während sie mit dem Kindermädchen Margo (Joanna Vanderham) versucht eine gute Zeit zu verbringen. Weiterlesen

Papadopoulos & Söhne

„Hey, das ist ein Bankrott, Baby, keine Katastrophe!“ Harry Papadopoulos (großartig: Stephen Dillane) hat mit einem Fish ’n’ Chips-Laden angefangen und sich dann zu einem Papadopoulos & Söhnegroßen Feinkostproduzenten hochgearbeitet. Gerade will er die Papadopoulos Plaza – das Projekt seines Lebens – auf die Beine stellen, als im Zuge der Bankenkrise sein Kredit platzt. Sein großkotziger Berater spricht zwar den zitierten Satz als Beruhigung der Situation, jedoch muss Harry mitsamt Familie seine Luxusvilla verlassen und auch sonst ist alles erstmal futsch. Alles? Nicht ganz… Mit seinem Bruder Spiros (Georges Corraface) zusammen besitzt er noch den heruntergekommenen Fish ’n’ Chips-Laden aus den Anfangsjahren, und Spiros ist wild entschlossen, diesen wiederzueröffnen. Weiterlesen