Sightseers

Und wieder kommt ein Film in die Kinos, dessen Protagonisten bereits mit Preisen überhäuft wurden: Bei den alljährig stattfindenden Fido Awards erhielt Smurf, der Terrier aus „Sightseers“ den Comedy Canine Moment. Aber auch die Hauptdarsteller sind sehenswert: Tina (Alice Lowe mit der deutschen Stimme von Anke Engelke) packt ihre Sachen für einen Urlaub mit ihren neuen Freund Chris (Steve Oram). Der hat ein Wohnmobil und schon viele Pläne, wo es bei der Fahrt durch Yorkshire hingehen soll: Unter anderem ein Straßenbahn-Museum, ein Bleistift-Museum und einen Viadukt wollen die Verliebten besichtigen. Als Chris sich bei der ersten kleinen Konfrontation mit einem anderen Touristen unbeherrscht zeigt und den Mann spontan überfährt, ist Tina nur kurz schockiert. Sie ist nicht bereit, ihre Beziehung, den exzessiven Sex und die befreiende Entfernung zur herrischen Mutter nur wegen eines cholerischen Serienkillers aufzugeben. Weiterlesen

Paradies: Liebe

Nein, das ist nicht das Paradies. Da, wo Teresa wohnt, ist es zwar adrett, und bei ihrer strengen Schwester, wo ihre Tochter bleibt, ist es sogar ein bisschen grün – aber das wahre Paradies ist Kenia. Das stellt Teresa im Urlaub fest, sobald ihr einer der Hotelangestellten die Fensterläden mit Blick auf den weißen Strand geöffnet hat. Teresa, eine aus der Form geratene 50-Jährige, sieht sofort entspannter aus, auch wenn die Haut schnell leichte Sonnenbrandrötungen zeigt. Sie ist nicht die einzige ihrer Altersgruppe. Auch das Lebensgefühl der Urlaubsfreundinnen ist ein ähnliches: Der Mann zuhause hat ihren alternden Körper so sehr kritisiert, dass sie sich nicht mal mehr an einen Seitensprung traut, berichtet Inge. Alles hängt nur herab, da sind einfach viel zu viele Kilos. Doch in Kenia hat sich ein Sextourismus etabliert, der Frauen wie Teresa das Gefühl des Begehrtwerdens zurückgibt – als „Sugarmama“: Weiterlesen

Rückblick: Der deutsche Film im Jahr 2012

Was tat sich im deutschen Film 2012? Die „üblichen Verdächtigen“ wie Christian Petzold, Andreas Dresen, Marcus H. Rosenmüller oder Tom Tykwer erhielten für »Barbara«, »Halt auf freier Strecke«, »Wers glaubt wird selig und »Cloud Atlas« mehr oder weniger die erwartbaren Reaktionen.
Vor allem gegen Ende des Jahres häuften sich jedoch ungewöhnliche deutsche Produktionen: »Die Libelle und das Nashorn« bezaubert durch den Charme von Mario Adorf und die witzig-neurotische Sprunghaftigkeit von Fritzi Haberlandt. Regisseurin Lola Randl erfand für die beiden eine ungewöhnliche Nachtreise mit bezaubernden Dialogen.
»Fraktus«, mitgeschrieben und verkörpert von den Studio-Braun-Protagonisten ist eine grandiose Mockumentary aus der Welt der Elektro- und Technomusik, die mit einer gewitzten Strategie daherkommt: Alles ist echt. Die Musik, die Platten und ihre Cover entwickelten ein Eigenleben – »Fraktus« ist auf Tour und wird im Radio gespielt.
Das schwarz-weiße Langfilmdebüt »Oh Boy« von Jan Ole Gerster begeistert durch lakonische Dialoge. Der fantastische Tom Schilling verbringt als Niko einen Tag in Berlin, wie wir es vorher nicht schon tausend Mal gesehen haben.
Ein Roadmovie mit Berlinbezug ist »Puppe, Icke und der Dicke« von Felix Stienz: Eine eher unfreiwillig zusammengewürfelte Reisegruppe ist auf dem Weg von Paris nach Berlin, findet auf höchst unterhaltsame Weise Sympathien füreinander und wird unterstützt von einem der schönsten Soundtracks des Jahres.
Der mit Abstand ungewöhnlichste deutsche Film des vergangenen Jahres ist »Dicke Mädchen« (Foto). Kaum Geld, aber eine Oma und zwei tolle – dicke! – Schauspieler, die als Dreierteam perfekt harmonieren und improvisieren – das ist das Geheimnis von Regisseur Axel Ranisch, der dafür die Kurzfilm-Lola erhält – weil der Film in deutlich weniger als 90 Minuten eine zarte, wilde, lustige und gleichzeitig melancholische Geschichte zaubert, einfach so. Weil er es kann.

[erschienen im Kinokalender 1/2013]

Die meisten dieser Filme kommen immer mal irgendwo im Kino oder sind bereits auf DVD erschienen, z.B. Dicke Mädchen bei Amazon.
Update Juli 2013: Puppe, Icke und der Dicke gibt’s jetzt auch zu kaufen!

Play – Nur ein Spiel

Ist es Rassismus, wenn eine Filmhandlung daraus besteht, dass schwarze Jugendliche ein paar weiße Mittelstandskinder um ihr Hab und Gut – Handys, Mp3-Player und wertvolle Klamotten – bringen? Dem dokumentarisch-experimentellen Spielfilm „Play – Nur ein Spiel” von Ruben Östlund – der auf einer polizeibekannten Serie solcher Übergriffe basiert – wurde von einigen Kritikern vorgeworfen, rassistische Stereotype nicht nur zu reproduzieren, sondern gar erst zu etablieren. Genauerer Betrachtung halten solche Anschuldigungen allerdings nicht stand. Die Sezierung psychologischer Mechanismen ist filmisch auf geradezu exemplarische Weise gelungen und nicht zuletzt die jugendlichen Darsteller sorgen für ebenjene Komplexität, die aus einem womöglich schematischen Experiment wirklichkeitsnahe Widersprüchlichkeit erwachsen lässt.

Ganzer Artikel

Kinostart: 24.1. 2013