Die Thomaner – Herz und Mund und Tat und Leben

„Ein Blick hinter die Kulissen“ des weltberühmten Leipziger Thomanerchores? Wohl eher ein Huldigungsfilm im Jahr des 800-jährigen Bestehens. Anfangs kommen noch zweifelnde Mütter zu Wort, die ihr Kind gerade in die Obhut des altehrwürdigen Hauses, genannt den „Kasten“ geben, wo sie in Stuben mit bis zu zehn anderen wohnen werden. Danach widmet sich der Film neu aufgenommenen und schon älteren Thomanern, die ein Jahr lang beobachtet werden. Auch Thomaskantor Georg Christoph Biller kommt zu Wort. Von den Kindern wird zwar das Heimweh angesprochen, der straffe Tagesplan, die Auslese vor den Konzertreisen. Doch die Jungen sagen letztlich das Erwünschte: Man gewöhnt sich dran, das Singen und die Gemeinschaft machen alles wieder wett, und bei der Abifeier, also dem Abschied, gibt es Tränen und Wehmut. Sicherlich wird das bei nicht wenigen so sein und dass die Musik wunderschön ist und der Chor zu Recht Weltruf genießt, davon zeugt der Film. Doch beim Anschauen drängen sich allzu viele Fragen auf, die nicht beantwortet werden: Was passiert, wenn der Druck zu groß wird? Gibt es Aussteiger (ja, es gibt sie)? Führt das Jahrhunderte alte System – ältere Thomaner kümmern sich um jüngere und bestrafen sie auch – nicht zu Willkür und im schlimmsten Fall Missbrauch? Wo sind die Erzieher (es gibt nur wenige)? Hier traut sich der Film leider nicht, hinter die Türen zu schauen, um herauszufinden: Ist das kritikwürdiger Korpsgeist oder echte, bewundernswerte Gemeinschaft?

[Erschienen in der zitty Berlin 4/2012]